Welcher Teilnehmer der größten Ärztedemonstration in der Geschichte der Bundesrepublik 2006 hätte gedacht, dass gesundheitspolitische Bestrebungen eines CDU-Gesundheitsministers einmal die planerische sozialistische Gesetzgebung von SPD-Ministerin „Ullala“ Schmidt links überholen in den Schatten stellen wird?
Tatsächlich beschert uns das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) von Jens Spahn eine beispiellose, übergriffige Einmischung in den Praxisalltag aller haus- und fachärztlichen Vertragsärzte. 2006 verlangten 20 Tausend Mediziner einen Kurswechsel in der Gesundheitspolitik. Damals ging es um gesetzlich verordnete Bürokratie im Praxisalltag, eine drohende Bonus-/Malus – Honorarregelung bei der Verordnung teurer bzw. preiswerter Medikamente und gesetzgeberische Versorgungsgestaltung über die Köpfe der Ärztinnen und Ärzte hinweg.
Die Protestwelle der Ärzte 2006 war zweifelslos ein Erfolg. Hanno Kautz schrieb in der Ärztezeitung am 23.Juni 2006: „Selbst wenn sich nichts ändern sollte, ist allein die Tatsache, dass die Ärzteschaft diesmal geschlossen auf die Straße gegangen ist, ein Wert an sich. Dadurch ist der Berufsstand nicht nur schlagkräftiger, sondern auch glaubwürdiger geworden.“ Er prophezeite: „ …wenn es in der Gesundheitspolitik keine Trendwende gibt und kein Umdenken, dann werden sich die Reihen der Ärzte auch in Zukunft wieder schließen.“ Und weiter: „Das Signal, das die Ärzte …mit den Protesten gesendet haben, scheint angekommen zu sein. Von „Verständnis“ ist inzwischen die Rede. Erst in den Medien und dann in Regierungskreisen. Dieses Verständnis muss jetzt in einen Dialog überführt werden.“ Die bereits vor über zehn Jahren zu beobachtende Abwanderung von in Deutschland ausgebildeten Medizinern nach Skandinavien und anderswo bezeichnete der damalige Ärztekammerpräsident Professor Jörg Hoppe als „das Ergebnis jahrelanger Anti-Ärzte-Politik“.
Zwölf Jahre später beabsichtigt Jens Spahn in schlechter planwirtschaftlicher Tradition den Terminkalender eines immer noch einen freien Beruf ausübenden Vertragsarztes zu bestimmen, Stichwörter: freie Terminsprechstunde, 25 Stunden Mindestsprechstundenzeit, zentrale Terminvermittlung, etc..
Ungeheuerlich der Anspruch des Ministers, besser wissen und entscheiden zu können, welcher Patient unabhängig von tatsächlicher Dringlichkeit, die ja tatsächlich nur durch Ärztinnen und Ärzte beurteilbar ist, wann bei welchem Facharzt gefälligst zu versorgen sei. Gleichzeitig geht mit dieser respektlosen bevormundenden Behandlung von 160 Tsd Vertragsärztinnen und -ärzten einher ein Abstrafen ärztlicher Selbstverwaltung und gemeinsamer Selbstverwaltung aus KVen und Krankenkassen.
Indem Spahn den Partnern der Bundesmanteltarife strikte Vorgaben macht, zeigt er seine tatsächliche offenbar von tiefem Misstrauen gekennzeichnete und letztlich ablehnende Denke über Selbstverwaltung. Das Subsidaritätsprinzip wurde früher von Christdemokraten als ein konstituierendes Element unserer pluralistischen demokratischen Gesellschaftsordnung verteidigt. Der Jungpolitiker der CDU mit Kanzlerambitionen scheint davon nichts mehr zu halten.
Und wo ist heute der Protest der Ärzte? Wo bleibt der Protest auf der Straße? Wo ist die Geschlossenheit der unterschiedlichen Berufsverbände wenigstens wieder einmal einig in der Ablehnung politisch intendierter Bevormundung und Einmischung? Wo bleibt in diesen Tagen der Aufschrei gegen eine Anti-Ärztepolitik?